MGBs, PANZER UND BATMOBILE

Auszug aus Neil Stephenson's "Die Diktatur des schönen Scheins"


Zu der Zeit, als Jobs, Wozniak, Gates und Allen sich diese merkwürdigen Projekte ausdachten, war ich ein Teenager und lebte in Ames, Iowa.
Der Vater eines meiner Freunde hatte einen alten MGB-Sportwagen, der in seiner Garage vor sich hin rostete.
Manchmal brachte er ihn sogar zum Laufen und lud uns dann mit einem unvergesslichen Ausdruck wilder, jugendlicher Begeisterung im Gesicht zu einer Spritztour um den Block ein; für seine Passagiere war er ein Verrückter, der, wenn er den Motor nicht gerade abwürgte, unter Fehlzündungen durch Ames, Iowa, tuckerte und den Staub von rostigen Gremlins und Pintos schluckte; in seiner Vorstellung dagegen war er Dustin Hoffmann, der, den Wind in den Haaren, über die Bay Bridge dahin brauste.

Im Rückblick gewann ich daraus zwei Erkenntnisse über das Verhätnis der Leute zur Technik.
Die eine besagte, dass ihre Ansichten in nicht unbeträchtlichem Maße von Romantik und Imagedenken geprägt sind.
Wer Zweifel daran (und viel Zeit zur Verfügung) hat, frage irgendjemanden, der im Besitz eines Macintosh ist und sich aus eben diesem Grund einer unterdrückten Minderheit zugehörig fühlt.
Der Vergleich zwischen Autos und Betriebssystemen ist gar nicht so schlecht und deshalb möchte ich noch einen Augenblick dabei verweilen und an ihm unsere derzeitige Situation erläutern.

Stellen Sie sich eine Straßenkreuzung vor, an der vier miteinander konkurrierende Autohändler liegen.
Einer von ihnen (Micro$oft) ist viel, viel größer als die anderen. Er fing vor Jahren damint an, Fahrräder mit Dreigangschaltung (M$-DOS) zu verkaufen; die waren nicht perfekt, funktionierten aber, und wenn etwas kaputt war, konnte man es leicht reparieren.

Im Fahrradgeschäft nebenan begann die Konkurrenz (Apple) eines Tages, motorisierte Fahrzeuge zu verkaufen - teure, aber ansprechend gestaltete Autos, deren Innereien hermetisch eingeschlossen waren, so dass ihre Funktionsweise mehr oder minder im Dunkeln blieb.

Der große Händler reagierte, indem er ein Mofa-Nachrüstset (Original-Windows) auf den Markt warf.
Das war eine Vorrichtung Marke Rube Goldberg, die nach entsprechender Montage ein Dreigangfahrrad in die Lage versetzte, gerade noch mit den Apple-Autos mitzuhalten.
Die Benutzer mussten Brillen tragen und pulten sich dauernd Insekten aus den Zähnen, wärend Apple-Besitzer in hermetisch versiegeltem Komfort dahinsausten und sie durch die Fenszer hindurch höhnisch angrinsten.
Aber die Micro-Mofas waren billig, im Vergleich zu den Apple-Autos leicht zu reparieren und ihr Marktanteil wuchs.

Am Ende brachte der große Händler ein richtiges Auto heraus: einen wuchtigen Kombi (Windows 95).
Vom ästhetischen her war er ungefähr so ansprechend wie eine sowjetische Arbeitersiedlung, er verlor Öl, seine Dichtungen platzten und er hatte unglaublichen Erfolg.
Etwas später kam noch ein für industrieelle Anwender gedachter massiger Geländewagen (Windows NT) heraus, der auch nicht schöner und nur ein bisschen zuverlässiger war als der Kombi.

Seitdem ist viel Tamtam gemacht worden, aber geändert hat sich wenig.
Der kleinere Händler verkauft weiterhin elegante Limousinen in europäischem Stil und gibt viel Geld für Werbekampagnen aus.
Hinter den Scheiben hat er schon so lange Schilder mit der Aufschrift TOTALAUSVERKAUF! kleben, dass sie ganz vergilbt und wellig geworden sind.
Und der größere produziert immer größere und größere Kombis und Geländewagen.

Die beiden Konkurrenten auf der anderen Straßenseite haben sich erst in jüngerer Zeit dort niedergelassen.
Einer von ihnen (Be, Inc.) verkauft voll funktionsfähige Batmobile (BeOS).
Sie sind sogar noch schöner und stilvoller als die Euro-Limousinen, besser konstruiert, technisch ausgereifter und mindestens so zuverlässig wie alles andere auf dem Markt - und trotzdem billiger als die anderen.

Mit einer Ausnahme, nähmlich Linux, das sich gleich nebenan befindet und gar kein richtiges Geschäft ist.
Es ist eine Ansammlung von Wohnmobilen, Jurten, Tipis und Traglufthallen, die mitten auf einem Feld stehen.
Die Leute, die dort leben und auf Konsensbasis organisiert sind, stellen Panzer her.
Diese haben allerdings nichts mit den altmodischen, gusseisernen Sowjetpanzern gemein; sie ähneln eher den M1-Panzern der US-Armee, die aus Materialien des Raumzeitalters bestehen und bis oben hin mit ausgefeilter Technologie vollgestopft sind.
Sie sind aber besser als Armeepanzer.
Man hat sie so abgewandelt, dass sie niemals liegen bleicben, leicht und wendig genug sind, um auf normalen Straßen zu fahren, und nicht mehr Benzin verbrauchen als ein Kleinstwagen.
Diese Panzer werden in rasender Geschwindigkeit an Ort und Stelle produziert und stehen in großer Zahl mit dem Schlüssel in der Zündung aufgereiht am Straßenrand.
Jeder, der möchte, kann einfach in einen einsteigen und ohne zu zahlen damit losfahren.

Die Kunden strömen Tag und Nacht in Scharen zu dieser Kreuzung.
Neuzig Prozent von ihnen gehen schnurstracks zu dem größten Händler und kaufen Kombis oder Geländewagen.
Sie würdigen die anderen Händler nicht einmal eines Blickes.

Von den übrigen zehn Prozent kaufen die meisten eine schnittige Euro-Limousine und bleiben nur kurz stehen, um sich naserümpfend die Banausen anzuschauen, die die Kombis und Geländewagen kaufen.
Wenn diese Kunden die Leute auf der gegenüberliegenden Straßenseite, die die billigeren, technisch höher entwickelten Fahrzeuge verkaufen, überhaupt bemerken, dann verspotten sie sie als Spinner und Schwachköpfe.

Der Batmobil-Händler verkauft ein paar Fahrzeuge an den einen oder anderen Autofreak, der passend zu seinem Kombi noch einen Zweitwagen haben will, sich jedoch damit abzufinden scheint, dass dieser einstweilen noch eine Randerscheinung darstellt.

Die Gruppe, die die Panzer verschenkt, bleibt nur deshalb am Leben, weil ihr Personal aus Freiwilligen besteht, die mit Megafonen ausgerüstet am Straßenrand stehen und versuchen, die Aufmerksamkeit der Kunden auf diese unglaubliche Situatuion zu lenken.
Eine typische Unterhaltung verläuft etwa so:

HACKER MIT MEGAFON: >>Sparen Sie Geld! Nehmen Sie einen unserer kostenlosen Panzer! Er ist unverwundbar und kann bei einem Verbrauch von einer Gallone auf hundert Meilen mit neunzig Sachen über Felsen und durch Sümpfe fahren!<<

AM KOMBI INTERESSIERTER KÄUFER: >>Ich weiß, dass Sie Recht haben, aber ... äh ... ich weiß nicht wie man einen Panzer wartet!<<

MEGAFON: >>Wie man einen Kombi wartet, wissen Sie doch auch nicht!<<

KÄUFER: >>Aber bei diesem Händler sind Mechaniker angestellt. Wenn mit meinem Kombi irgendwas nicht in Ordnung ist, kann ich einen Tag frei nehmen, ihn herbringen und sie dafür bezahlen, dass sie ihn reparieren, während ich stundenlang unter Musikberieselung im Warteraum sitze.<<

MEGAFON: >>Wenn Sie aber einen unserer kostenlosen Panzer nehmen, schicken wir Freiwillige zu Ihnen nach Hause, um ihn kostenlos zu reparieren, während Sie schlafen!<<

KÄUFER: >>Sie kommen mir nicht ins Haus, Sie Freak!<<

MEGAFON: >>Aber ...<<

KÄUFER: >>Sehen Sie nicht, dass alle Welt Kombis kauft?<<


© Neal Stephenson: Die Diktatur des schönen Scheins, Seiten 9-14